Corporate Culture

Corporate Influencer – Reputationsverstärker oder Kopfgeburt?

Mitarbeitende bringen sich vermehrt als Vertreter des Unternehmens über die sozialen Medien in öffentliche Diskussionen ein. Viele Unternehmen dulden dies nicht nur, sondern ermutigen ihre Belegschaft dazu. Für die Kommunikationsverantwortlichen bedeutet dies Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil sich die Qualität dieser Kommunikation nicht gut steuern lässt. Segen, weil das Unternehmen im positiven Fall von glaubwürdigen Vertretern gestützt wird. Wie eine Untersuchung bei den Mitgliedern des Harbour Clubs (Kommunikationschefs der 80 grössten Schweizer Unternehmen) vor einigen Jahren zeigte, sehen diese darin vor allem Risiken und bewerten den Kontrollverlust als ihre grösste Herausforderung. Ein Zitat aus der Studie*: «Die chaotisch anmutenden Anforderungen der neu auszurichtenden Kommunikation stellen Vorstellungen von Hierarchie und Kontrolle auf den Kopf.»

Am 6. Juni eröffnete dann auch Prof. Dr. Guido Keel, Leiter des Instituts für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW, den Abend «IAM live» zum Thema Corporate Influencer mit zwei provokativen Fragen: «Wie soll man Kommunikation noch strategisch gestalten, wenn alle kommunizieren? Was macht dann noch die Kommunikationsabteilung, wenn alle gut, oder gut gemeint, kommunizieren?»

Prof. Dr. Nicole Rosenberger des IAM liess dann in ihrer Präsentation mit einem Modell Hoffnung aufkeimen. Ist es den Kommunikationschefs vielleicht doch möglich, die Hoheit der Kommunikation zurückzuerobern? Um die mehr oder weniger kompetent kommunizierenden Mitarbeitenden zu führen, müsse man ihnen konkrete Aufgaben zuteilen. Zwar entstünden interne Botschafter aufgrund ihres sozialen Status und diese seien wenig steuerbar. Aber mit dem «Corporate Influencer» könne eine neue Kategorie von Kommunikatoren geschaffen, ausgewählt und geführt werden. Diese Influencer sollen aufgrund ihres hohen Fachwissens intern ausgewählt und mit Schulung und Coaching für ihre besondere Rolle fit gemacht werden. Der Corporate Influencer kommuniziere dann digital und agiere für das Unternehmen als Themenführer, während der «normale» Mitarbeiter als externer Botschafter nur zu seiner Vernetzung kommuniziere – analog und digital. Das Übersicht und Struktur verschaffende Modell dazu:

In der auf die Präsentation folgende Podiumsdiskussion konnte sich Sarah Stiefel, seit 2015 Leiterin Digitale Kommunikation bei der SBB, mit der Funktion eines Corporate Influencers nicht so richtig anfreunden. Vielmehr plädierte sie dafür, Dinge «laufen zu lassen» und mit den besonders aktiven Social-Media-Fans unter den Mitarbeitenden den Dialog zu suchen. Ganz ähnlich sah es der Podiumsgast Edi Estermann, Leiter der SRG Medienstelle. Bei der «No-Billag»-Initiative habe sich gezeigt, dass die Mitarbeitenden durchaus den Kontakt suchen würden, wenn sie in der Kommunikation in den sozialen Medien unsicher sind. Was sich aber im «Ausnahmezustand No-Billag» bewährt habe, sei eine temporäre Anpassung und Ergänzung der Social-Media-Richtlinien und die interne Kommunikation von Fakten, die das Unternehmen zur Richtigstellung von Sachverhalten hilfreich findet und diese den Mitarbeitenden zum Teilen anbietet.

Um die Perspektive des Journalismus miteinzubeziehen, ergänzte das Podium Moritz Kaufmann, Wirtschaftsredaktor «SonntagsBlick». Auch er würde sich auf der Suche nach Informationen wohl weniger an Corporate Influencer halten. Neben der offiziellen Pressestelle nutze er als gute Quelle für Primeurs Twitter-Meldungen von Mitarbeitenden. So sei er beispielsweise als erster Journalist auf das Sabbatical des SBB CEO Andreas Meyer gestossen – in einem privaten Kommentar eines SBB-Mitarbeiters.

Man soll neue Ansätze ja nicht allzu schnell abschreiben und ihnen Zeit zur Entwicklung geben – dies gilt auch für den Corporate Influencer. Aber aus aktueller Warte scheint es eher unwahrscheinlich, dass sich diese Funktion in der Unternehmenskommunikation etablieren kann. Dafür sprechen mehrere Gründe: Die grössten Experten eines Fachgebiets mit langjähriger Erfahrung sind nicht unbedingt unter den Digital Natives zu finden, die das ständige Bedürfnis verspüren, sich über die sozialen Medien der Welt mitzuteilen. Weiter kann sich die Auswahl von Themenführern gerade in agilen Organisationen schwierig gestalten, verschiebt sich die Themenführung doch je nach Projekt und entsprechender Teamaufstellung. Überdies bedeutet die Auszeichnung eines Themenführers auch, anderen den Status des Corporate Influencers vorzuenthalten – ein Signal, das missverstanden werden kann. Und schwierig könnte sich auch der Umgang mit einem Corporate Influencer gestalten, der nicht mehr fit auf seinem Thema ist, sich aber eine Menge qualitativ guter Followers herangezogen hat. Möglich, dass es einzelne Bereiche gibt, in denen Spezialisten motiviert werden sollten, die sozialen Medien besonders zu nutzen (beispielsweise im HR für das Employer Branding). Doch die Hoffnung, in der digitalen Welt die Kommunikation der Mitarbeitenden steuern zu können, bleibt wohl eine Illusion.

Die Unternehmenskommunikation sollte sich darauf konzentrieren, die gesamte Belegschaft für die Nutzung der sozialen Medien fit zu machen und sie kontinuierlich über neue Möglichkeiten und Anwendungen zu informieren. Und zusammen mit der Unternehmensführung sollte sie sich dafür einsetzen, dass die Mitarbeitenden in ihrer Arbeit und im Unternehmen Sinn erkennen, ihre Tätigkeit mit Leidenschaft ausführen und gerne für ihre Bezugsgruppen da sind. Kurz: Mit der Investition in eine gute Unternehmenskultur kann in den sozialen Medien gar nicht mehr so viel schieflaufen.

Und wenn dann doch ein Mitarbeiter richtig ungeschickt kommuniziert? Dann fegt im schlimmsten Fall ein Shitstorm über das Unternehmen hinweg. Mögen Sie sich an einen solchen in einem Schweizer Unternehmen erinnern, der durch die Kommunikation eines Mitarbeitenden ausgelöst wurde? Tatsächlich? Und hat das betroffene Unternehmen dadurch Schaden genommen – Kunden, Umsatz oder Marktanteile verloren? Nein? Eben. Sarah Stiefel der SBB beschrieb treffend, woran man sich in der Unternehmenskommunikation bezüglich Social Media gewöhnen muss: Natürlich muss man die Rahmenbedingungen für Social-Media-Aktivitäten klar kommunizieren. Dann aber soll man den Mitarbeitenden vertrauen und die Dinge laufen lassen.

* Studie im Auftrag des Harbour Clubs, «Die Transformation der Kommunikation: Schneller, höher, besser.», gfs.bern, Oktober 2014

— Ralph Hermann / 20.6.2018