News

Leider fehlerfrei

«Talking Heads» im Rahmen der Perikom Good-Practice-Reihe zum Thema «Innovation – durch Irrtum zu Fortschritt»

Da beschäftigten wir uns am 11. Februar im Vortragssaal des Landesmuseums mit Chancen, die aus Fehlern entstehen, schaffen es aber nicht, an diesem Abend einen Fehler zu produzieren, der uns weiterbringt, neue Wege auftut oder sonst etwas bahnbrechendes mit uns macht. Die «Hauptschuld» daran tragen die drei exzellenten Speaker. Dr. Claudia Wohlfahrtstätter, Prof. em. Dr. Theo Wehner und Stefan Jeker. Ihre Referate waren absolut stimmig und überzeugend. Keine falsche Note, kein Ton zu viel.

Doch der Reihe nach: Als Gastgeber und Geschäftsführer von Heads Corporate Communication fällt mir die Ehre zu, den Abend mit einem Einführungsreferat zu eröffnen. Mein Referat dreht sich vor allem um die mangelnde Fehlerkultur in Schweizer Unternehmen. Wir sind Weltmeister im Fremdschämen und das Impostor-Syndrom scheint weit verbreitet – wir trauen dem Erfolg nicht über den Weg und warten fast darauf, dass es schief geht. Denn der Fehler würde beweisen, dass der Erfolg nicht verdient war. Dies führt zu einer konstanten Anspannung. Reinhard K. Sprenger schrieb dazu im letzten Herbst im NZZ-Feuilleton, dass man dem Zufall doch eine Chance geben soll. Es falle uns besonders schwer, Unsicherheiten, Zufälle und Risiken auszuhalten. «Das alles ist nicht leicht in einem Land, in dem Todesgefahr und Lebensgefahr dasselbe sind.» Doch schon Robert Musil hat schon Beginn des letzten Jahrhunderts treffend formuliert, wie stark wir uns über Fehler weiterentwickeln: «Wir irren vorwärts.» Weil sich so viele schwertun, über Fehler zu reden, mache ich es dann gleich selber und stelle den Gästen drei kapitale Fehler aus meiner Berufslaufbahn vor, die wegweisende Karriereentwicklungen mit sich brachten. Die Entwicklung gelang aber nur, weil ich mich mit meinen Fehlern intensiv beschäftige – wöchentlich, für eine Stunde, mit einem Coach, seit 15 Jahren. Wie auch Unternehmen die Auseinandersetzung mit Fehlern angehen sollten, zeigt eine Geschichte von IBM. Ein IBM-Manager scheiterte mit einem 10-Millionen-Grossprojekt. Der Verantwortliche bot dem damaligen CEO Thomas Watson Senior seinen Rücktritt an. Watsons Antwort: «Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein, nachdem wir gerade 10 Millionen in ihre Ausbildung investiert haben.»

Prof. em. Dr. Theo Wehner eröffnet sein Referat mit seiner Definition einer guten Fehlerkultur, die Innovation möglich macht. Gefragt sei eine Fehlerfreundlichkeit, eine optimistisch aufklärerische Haltung, die der Hinwendung zum Fehler und nicht der Abwendung dient. Eine Fehlerfreundlichkeit, die Handlungskontrolle von Fehlerkonsequenzen und nicht nur der Vermeidung dient. Eine Fehlerkultur, die Konsequenzen harmlos hält und Korrekturmassnahmen vom Handelnden bestimmt werden. Dies die wertvollen Anregungen der ersten zwei Minuten des inhaltlich äusserst dichten Referats. Wehner führt dann aus, welches die fünf grössten Innovationsbarrieren sind: geringe Fehlerfreundlichkeit, fehlendes Konfliktmanagement, mangelnde Kooperationsfähigkeit, stoische Planungsfixiertheit und überkommene Qualitätsansprüche. Diese Punkte sind wohl vielen im Publikum aus dem Berufsalltag bestens bekannt. Wehner zieht dann den «Innovation Funnel» in Zweifel: «Vorne kommen Herzchen rein und am Ende des Funnels sind es Margarine-Klötzchen – so linear läuft der Innovationsprozess bei Weitem nicht.» Aber auch der Gleichung «Vielfaches Scheitern = Weg zum Erfolg» will Wehner nicht zustimmen. Wer erfolgreich sei, müsse nicht früher gescheitert sein. Man könne aus Scheitern lernen, aber ohne Erfolgsgarantie. Es brauche eine gesteigerte Fähigkeit zur Selbstreflexion. Und oft würde Richtiges mit bewusst falschen Annahmen erreicht. Er verweist dabei auf Hans Vaihingers Buch «Die Philosophie des Als Ob» (Edition Classic, VDM Verlag Dr. Müller). Sein Fazit: «Innovationen zeigen einen Pfad innerhalb eines Möglichkeitsraums; sind also nie folgerichtig, können scheitern und verweisen auf ein fehlerfreundliches, soziales, kooperatives Milieu.»

Von der Theorie geht es mit Dr. Claudia Wohlfahrtstätter, einer erfahrenen Strategieberaterin und Inhaberin der sinnovec Gmbh, gleich zur Praxis. Sie referiert über Risiken, die bewusst eingegangen werden müssen und eine ausgezeichnete Führung- und Vertrauenskultur bedingen. Dabei blickt sie zurück auf die letzten zwei Dekaden: Die 2000er-Jahre waren die Zeit der Risikoträger. In dieser Zeit brauchte es Mut, sich gegen Übermut zu stellen, denn mit hohem Risiko wurde viel Geld verdient. Sie präsentiert einen Fall, in dem eine Mitarbeiterin ihren Vorgesetzten auf ein immenses Risiko aufmerksam machte, obwohl sie sich damit bei ihren Kollegen, den Risikonehmern, unbeliebt machte. Doch der Vorgesetzte hörte auf sie und schob dem Risiko den Riegel. Nur Monate später traf der «unwahrscheinliche Worst Case» ein und das entschlossene Handeln zuvor vermied für das Unternehmen gigantische Verluste. Wohlfahrtstätter konstatiert, dass in einer Zeit mit wenig Kontrollprozessen die Risiken durch ein reflektiertes Miteinander zu minimieren seien. Das nächste Jahrzehnt sei von der Finanzkrise geprägt gewesen und so wurden die 2010er-Jahre zum Jahrzehnt der Compliance- und Governance-Prozesse. Vor Entscheiden wurden Risiken akribisch abgeschätzt, bewertet und verschiedene Szenarien entwickelt. Aus dieser Zeit präsentiert Wohlfahrtstätter einen Fall eines Unternehmens, das all die üblichen Kontrollen und Prüfungen seriös vornahm und trotzdem irrte. Der Fehler lag nicht in den durchgeführten Compliance- und Governance-Prozessen, sondern im gewährten Vertrauen. Es zeigte sich, dass nicht alle Menschen fähig sind, Risiken und damit Verantwortung zu tragen. Das Fazit von Wohlfahrtstätter: Es komme auf die Menschen an. Ein bestimmtes, aber nicht lähmendes Mass an Kontrolle sei wichtig. Kontrollprozesse würden aber ein reflektiertes und gutes Miteinander nicht ersetzen. Und ein Restrisiko bestehe immer. «Manchmal scheitern wir – auch im grossen Stil. Aber reflektieren Sie immer – aber vor allem, wenn sie scheitern.»

Stefan Jeker, Leiter Digitale Transformation & RAI Lab bei Raiffeisen Schweiz, veranschaulicht in seinem Referat, was es braucht, um zu einer inspirierenden Innovationskultur zu finden. Wie bleibt ein Unternehmen zukunftsfähig? Wie erkennt man die richtigen Signale und kann sie als wichtig und dringlich einstufen? Das Innovationslabor von Raiffeisen ist ein Impulsgeber für neue Ideen und ein Inspirator für eine lebendige Innovations-Kultur. Genau wie der zitierte Reinhard K. Sprenger sieht auch Jeker die Notwendigkeit, für Neues den Willen aufzubringen, Unsicherheit auszuhalten. Es sei hoch relevant, schnell zu lernen und auch Fehler zu machen. Man müsse Menschen für Innovation aktivieren, doch nicht alle seien dafür geeignet. Er zitiert eine Nielsen-Studie, die besagt, dass gerade ein Prozent in einer Community aktiv gestalten und zur Veränderung beitragen will. Neun Prozent seien zumindest noch Multiplikatoren, 90 Prozent aber lediglich Zuschauer. Es gehe also darum, dieses eine Prozent als Leader zu befähigen, denn sie seien die treibende Kraft einer gelebten Innovations-Kultur. So baute Jeker bei einer Einladung zu einem zweitägigen Innovations-Workshop bewusst eine Hürde ein: Der Workshop fand Freitag und Samstag statt. Die Mitarbeitenden, die mittun wollten, mussten also einen Tag ihrer Freizeit dafür opfern. Natürlich wurden dadurch bedauerlicherweise auch einige Mütter oder Familienväter von der Teilnahme ausgeschlossen, die sich den Samstag nicht freimachen konnten. Aber es meldeten sich so grösstenteils Menschen aus dem entscheidenden einen Prozent – die Veränderer. Als «Incubator» gehe es vor allem darum, junge Ideen zu schützen, damit sie wachsen können, bis sie eine gewisse Grösse hätten. Gefragt sei eine hohe Frustrationstoleranz; ein Innovationsprojekt sei wie Achterbahnfahren – mal geht es aufwärts, mal abwärts. Phasen der Verwirrung und des gefühlten Chaos würden dazugehören. Ganz wichtig sei, dass die Firmenspitze nicht das Gefühl habe, sie wisse durch ihre Erfahrung und Position, wie Fehler zu verhindern seien. Der Appell an die Geschäftsleitung: «Stopp playing HIPPO!» (Highest paid person’s opinion). Man müsse die Leute arbeiten lassen und dann bei der Finalisierung genau zuhören.

Der kritische Faktor für Innovation sei die Kommunikation: Menschen zum Zuhören bringen, um zu verstehen, Implementierung der Zwei-Weg-Kommunikation zur Befruchtung von Ideen. Ideen, Irrtümer und Learnings müssen als Chancen gesehen und kommuniziert werden. Ein Ideeninitiator müsse aber auch ein guter Verkäufer und in der Lage sein, seine Idee der Unternehmensleitung schmackhaft zu machen. Die Unternehmensleitung müsse in einer Idee Chancen für sich selber entdecken können, damit sie dann motiviert sei, die Umsetzung zu forcieren. Aufgeben dürfe keine Option sein und Innovation sei nichts für Weicheier. Um neue Wege zu gehen, müsse man ein «Mutmacher» sein. Jeker schliesst mit einem Zitat von Markus Reimer: «Agilität entsteht, ebenso wie Qualitätsbewusstsein und Innovationsbereitschaft, durch eine einfache Massnahme von Führungskräften: Wertschätzung.»

In der nachfolgenden kurzen Diskussion reden wir unter anderem über die vielen Niederlagen des Ex-Radrennfahrers Beat Breu, die er nach seiner Sportkarriere erlitten hat. Auf die Frage, ob Breu aus seinen Fehlern nichts lerne und ob hier Fremdschämen angesagt sei, meint Jeker: «Für mich stellt sich die Frage, ob Breu all diese Vorkommnisse überhaupt als Fehler wahrnimmt. Vielleicht sind es für ihn einfach Erfahrungen, die ihn weiterbringen.» Hier spricht der «Mutmacher», der weiss, wie mit Fehler umzugehen ist.

— Heads / 18.2.2020